Es gibt keinen Weg aus dem Land

Vika wollte am 25. Februar nach Kyiv, in ihre Heimat fliegen. Ein Tag, nachdem Krieg in der Ukraine ausbrach. Auf der Solidaritäts-Demo beim Brandenburger Tor in Berlin, erzählt sie was in ihr und dem Leben ihrer Familie vorgeht.

Du wolltest heute in die Ukraine zu deiner Familie fliegen?

Vika: Ja, ich hatte schon Pläne, wie ich die nächsten Monat in Kyiv gestalten würde. Ich wollte mit Freunden essen gehen und meine Familie nach langer Zeit wieder sehen. Dann habe ich gestern die Nachrichten gelesen. Zur gleichen Zeit, hatte Ryanair meinen Flug annulliert. Mein nächster Gedanke war mit dem Zug nach Kyiv zu fahren. Meine Stiftung von meiner Stipendienstelle hat mir auch geschrieben. Sie haben mir geraten besser in Sicherheit zu bleiben.

Wann warst du zuletzt in der Ukraine?

Vika:  Ich war zuletzt im Juli 2021 in Kyiv und davor war ich fast ein Jahr nicht mehr dort und davor auch nicht wegen Corona. Wann ich wieder zu meiner Familie kann – ich weiß es nicht. 

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Wie oft hast du mit deiner Familie Kontakt?

Vika: Also heute hatte ich Glück, da hab ich meine Familie zweimal angerufen. Ansonsten wenn ich etwas in den Nachrichten sehe, schreibe ich sofort meinem Bruder, ob alles in Ordnung ist.

Wie kann man sich den Alltag deiner Familie vorstellen?

Vika: Ja, also am Anfang hatten sie kein Internet, da gab es Probleme, weil das System überlastet war. Aber natürlich verfolgen sie gebannt die Nachrichten und verbringen Zeit im Internet. Oh, ja und wir haben auch einen Kater und machen uns echt Sorgen um ihn. Mein Bruder versucht ihn immer in der Nähe zu behalten, damit sie, falls was passiert, mit ihm sofort in den Keller oder ins Badezimmer flüchten können. Wir haben eine U-Bahn Station in der Nähe, dort ist es auf jeden Fall sicherer. Meine Familie hat auch schon alles gepackt. Alle Unterlagen sind zusammengerichtet, genauso auch Apothekenzeug und Lebensmittel. Sie halten sich bereit. Eine Freundin von mir hat keine U-Bahn in der Nähe, also würde sie mit ihrer Familie immer zur Sicherheit in den Keller gehen. Sie wohnt in einem Gemeinschaftshaus und vor diesen Keller steht mittlerweile schon eine lange Schlange.

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Eine Aktivistin auf der Demo in Berlin ©Lehner

Und deine Freunde …?

Vika: Meine beste Freundin geht früh morgens immer gleich einkaufen und besorgt Wasser und Medikamente – was man eben so benötigt. Für viele meiner Freunde aus der Ukraine ist es ein Problem, das Land zu verlassen oder generell Schutz zu finden. Viele haben keinen Ort, wo sie hingehen können. Manche haben Familienmitglieder, die sie nicht verlassen können. Mein Großvater besitzt keinen Reisepass. Diesen zu beantragen ist im Moment ein Ding der Unmöglichkeit. Es gibt keinen Weg aus dem Land für sie.

Vika’s Freundin fügte hinzu: “Das sieht man auch an den Flugtickets. Alles war ausgebucht. Ich kann mich erinnern, dass vom elften auf den zwölften Februar der Preis rasant angestiegen ist. Statt 100 Euro kosteten sie plötzlich 1000 Euro.”

Vika:  Um sechs Uhr in der Früh sind die Straßen voll. Daher ist die Frage, stehe ich lieber für ungewisse Zeit im Stau an der Grenze oder warte ich lieber zuhause in der Wärme, in der Hoffnung, dass die Situation etwas milder wird?

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Vika’s Freundin fügte hinzu: “Viele Leute wollen die Ukraine nicht verlassen, da sie von dem Land sehr überzeugt sind. Mein Vater und seine Frau, zum Beispiel, die bleiben in der Ukraine, obwohl sie es sich kurz überlegt haben, hier nach Berlin zu kommen. Aber ich kenne sie und ich weiß, dass sie zu stark an ihr Leben in der Ukraine gebunden sind. Ich kenne auch Leute, die leben heute noch in Tschernobyl. Allerdings hätte ich nicht erwartet, dass Kyiv bombardiert wird. Das kannst du dir nicht vorstellen. Das ist meine Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Es scheint mir wie ein Traum. Ich hätte es nie erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass es Kyiv trifft.”

Hunderte von Menschen hatten sich inzwischen beim Brandenburger Tor versammelt. Rufe setzten ein, ihre Stimmen wurden lauter, sie schwollen an und formten einen Rhythmus:

“Слава Україні” (Ehre der Ukraine) – “Героям Слава” (Ehre den Helden)

“Одна єдина соборна України” – (Eine einzige einheitliche Ukraine)

“Герої не вмирають” – (Helden sterben nicht)

Brandenburger Tor erleuchtet in Farben der Ukraine ©Lehner

Abschließend ergänzte Vika’s Freundin: “Meine Tante wohnt in St. Petersburg in Russland. Dort ist es nicht erlaubt eine Demo zu halten – so eine Veranstaltung wie hier in Berlin, das gibt es einfach nicht. Und wenn, dann kommst du in ein Polizeiauto und du wirst weiß ich wo hingebracht. Aber jetzt sehe ich in Moskau, dass so viele Leute auf der Straße sind. Für die Ukraine. Ich habe geweint. Das ist wirklich mein Traum, dass die Leute sich äußern. Das es ihnen etwas bedeutet.“

Vika (rechts) auf der Demo in Berlin

Autor & Bilder: Lehner